Das Castieler Tobel
Ort des schrecklichen Drachen

Die Kirche in Castiel, etwas erhöht gleich unterhalb der Burgstelle „Carschlingg“ liegend, war dem Drachentöter Georg geweiht. Und noch im 16. Jahrhundert nach der Reformation war das Unterdorf von Castiel unter dem Namen des heiligen Georg bekannt. Doch nicht Georg hat den schrecklichen Drachen getötet, sondern ein namenloser Mann aus Lüen.

Der Drache hauste im Castieler Tobel, wo er den Menschen auf dem Weg von und nach Calfreisen den Durchgang versperrte, der auch ohne Ungeheuer beschwerlich genug war, führte er doch „durch eine steile und schauerliche Felswand in die Tiefe“, wie Campell schreibt. [Campell 565] Der Drache war nur dadurch zu besänftigen, dass ihm von den Gemeinden Castiel, Lüen und Calfreisen der Reihe nach ein Mensch als Opfer gebracht wurde.

Kurz nachdem der namenlose Mann mit seiner einzigen Tochter über die Berge gekommen und sich in Lüen niedergelassen hatte, wurde wieder ein Opfer fällig. Das Los fiel auf die Tochter.

Zu dieser Zeit stand – so Dietrich Jecklin in „Volkstümliches aus Graubünden“ – die Burg auf dem Hügel am unteren Ende des Dorfes noch, dort wo heute das neue alte Schulhaus von Castiel vor sich hin träumt.

Die Kirche hingegen stand noch nicht. Hier war der Platz, an dem der Drachen sein Opfer erwartete.

Er hatte dabei einen wunderbaren Blick über das ganze Schanfigg, der auch heute noch beeindruckend ist.

An diesem Ort also trat der Mann aus Lüen als Beschützer seiner Tochter gegen den Drachen an. Indem er sein Schwert in den nur schwach mit Schuppen besetzten Hals stiess, tötete er ihn mit einem Streich.

Dem Drachentöter jedoch, der mit erhobenem Schwert der Vorsehung für die Rettung seiner Tochter dankte, fiel ein Tropfen Drachenblut auf den Kopf, und das Gift dieses Blutes tötete ihn auf der Stelle.

Heute ist selbst der steile Ab- und Aufstieg durch das Castieler Tobel für niemanden mehr eine Gefahr, wird dieses doch von einer eleganten Brücke überspannt. Die Schule auf dem Burghügel ist weitergezogen; in der Kirche findet noch einmal im Monat ein Gottesdienst statt.

Geblieben ist der bemerkenswerte riesige Christophorus an der Aussenwand des Kirchenchores. Das Jesuskind steht breitbeinig auf den Schultern des Riesen. Mit der rechten Hand scheint es den Weg nach Lüen zu weisen zu den Fresken des Waltensburger Meisters.
Quellen:
Ulrich Campell: Das alpine Rätien
Dietrich Jecklin: Volkstümliches aus Graubünden